Aussprechen

Was leistet Aussprechen, und wo sind seine Grenzen?

Aussprechen tut gut. Jeder hat das schon einmal im Alltag erlebt. In der Psychotherapie ist Aussprechen aber nur ein notwendiger erster Schritt. Oft braucht es einen längeren Weg, bis auch Unangenehmes offen besprechbar wird. Etwas, das auszusprechen einem schwer fällt. Diesen Weg gemeinsam bis zur Problemlösung zu gehen, ist mein Anliegen in der Psychotherapie.

Der Ausdruck „etwas aussprechen“ meint im Alltag die Situation, dass ich mich eine Weile nicht getraut oder zurückgehalten habe, von etwas zu sprechen. Wenn ich dann doch jemandem mein Herz öffne, verspüre ich Erleichterung. Die Überwindung meiner Hemmung erlöst mich von etwas Aufgestautem, Unausgesprochenem, das mich beschwert hat.

Wenn ich das Bedürfnis spüre, mich auszusprechen, tue ich das in der Regel gegenüber nahestehenden Menschen. Manchmal aber auch gegenüber Fremden, gerade weil sie fremd sind und mein privates Geheimnis nicht sinnvoll weiter erzählen können.

Viele halten die Psychotherapie fälschlich für eine Gelegenheit, sich aussprechen zu können bei jemandem, der fürs Zuhören Geld verlangt. Schließlich hat jeder schon die private Erfahrung gemacht, dass schon allein das Aussprechen seelischen Druck von den Schultern heben kann. Wer keine Macken hätte, müsste sich welche erfinden.

Zum Glück ist das Erfinden alltäglicher Unglücklichkeiten samt den entsprechenden Symptomen nicht nötig. Der Mensch ohne Macken wurde noch nicht gesichtet. Mit der Normalisierung der Neurotizismen hat auch die Psychotherapie ihre breite Akzeptanz gewonnen.

Zum Therapeuten zu gehen wird nicht mehr schamvoll verschwiegen, sogar das Gegenteil ist immer häufiger zu beobachten: In Gesellschaft davon zu erzählen bringt in immer weiteren Kreisen Prestige. „In Dating-Apps schreiben manche in ihr Profil, dass sie in Therapie sind“ berichtet die Süddeutsche Zeitung (22.04.2024). Mit dem Wort „austherapiert“ verspricht man eine Sonderqualifikation für Beziehungen, in denen auch die unbewussten Konflikte ausgesprochen und ausgehandelt werden können.

„Aussprechen ist gesund, weil erst das
Besprechbare zum Lösbaren wird.“

—Eva Banlaki

Auch in der Therapie bewirkt schon das Aussprechen oftmals Erleichterung. Worin aber liegt der Unterschied zwischen dem offenen Gespräch mit der Freundin oder mit der Psychotherapeutin?

Die Schweigepflicht gibt mehr Sicherheit
Die Schweigepflicht schützt mich vor Indiskretionen. Auch bei den mir vertrautesten und mir am verlässlichsten erscheinenden Menschen kann ich nie ganz sicher sein, ob sie nicht in irgend einer Situation, etwa unter Alkoholeinfluss oder mit ihrem Liebespartner, doch etwas verraten. Schließlich kann das auch unabsichtlich passieren. Wenn ich mich bei meiner besten Freundin ausspreche, kann das für sie belastend sein, so dass sie ihrerseits den Drang verspürt, sich bei einer dritten Person auszusprechen. Ob ich mich im Privatleben jemals vorbehaltlos zu 100 Prozent aussprechen kann, ist somit fraglich.

Ich werde nicht bewertet – niemals!
Im therapeutischen Setting kann und soll ich alles sagen. Auch das, was ich selbst an mir als unmoralisch, peinlich, unanständig, pervers, dumm und unfähig, unbegreiflich oder auch verrückt empfinde. Anfangs ist das nicht immer leicht. Doch hilft mir dabei die Gewissheit, niemals bewertet zu werden. Von einer Freundin hingegen kann ich sicher sein, dass sie bewerten wird, was ich sage, wenn auch auf wohlwollende Weise, dass sie mir aber ihre Wertungen verschweigen wird, wenn diese negativ ausfallen. Wenn ich etwas mir Unangenehmes für mich behalte, ist das so, wie wenn ich bei einer ärztlichen Untersuchung meine Schmerzen verschweige. Für eine Therapeutin ist es natürlich nicht leicht, ihre persönlichen Wertungen vollständig von ihrer Rolle im Setting zu trennen. Konzentration und Übung sind nötig, bis es zur automatischen Gewohnheit wird, sich als Person komplett zurück zu nehmen und draußen zuhalten, um professionell wertungsfrei handeln zu können.

Ich werde angenommen mit Allem, was in mir ist
Nicht bewertet zu werden ist nur die Basis dafür, dass ich im Setting das Gefühl entwickeln kann, hier angenommen zu werden. Egal wer oder was oder wie ich bin, egal was ich sage. Angenommen mit Allem, was ich in mir vorfinde und was mir im Prozess einfallen wird. „Am liebsten würde ich morgen meine Großmutter erschießen“ ist ein Satz, der eine Wahrheit enthüllt, die ich besser nirgendwo anders als im Rahmen einer Therapiestunde aussprechen sollte.

Die Therapeutin ist verlässlich immer auf meiner Seite
Das Verhältnis zur Welt und zu manchen Mitmenschen ist oft von Konflikten durchzogen. Im Gespräch darüber kann ich mich darauf verlassen, dass die Therapeutin prinzipiell auf meiner Seite ist. Und dass sie, wenn sie mir widerspricht, das genau deshalb tut, weil sie auf meiner Seite ist. Auf der Seite meiner seelischen Entwicklung, meines Schutzes und meines Wohlergehens.

Fazit

Aussprechen ist die erste, etwas offen besprechen können die zweite Voraussetzung dafür, dass eine Psychotherapie funktioniert und psychische Probleme lösbar werden. Die außergewöhnliche Situation, das Setting, ermöglicht es, dass Dinge besprechbar werden, die auch mit den allernächsten Freunden Tabu blieben. Aussprechen bringt nur eine erste momentane Erleichterung, es ist darauf beschränkt. Erst wenn innere Themen vorbehaltlos besprechbar sind, weichen Ängste, Vermeidungen und Hemmungen von ihnen. Der Dialog im Setting ist nötig für die Suche nach einer Lösung.

Kommen Sie in meine Praxis und erleben Sie selbst schon in der ersten Stunde, welchen Unterschied es macht, ob Sie sich bei einer Freundin aussprechen oder mit mir ein einem psychotherapeutischen Gespräch….

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