Kurzzeittherapie



 

Ist Kurzzeittherapie

nicht zu kurz?

 

Eine Psychotherapie dauert Monate, wenn nicht Jahre, das weiß doch jeder. Wie kann da eine auf wenige Stunden beschränkte Therapieform behaupten, ebenfalls wirksam zu sein? Und ist nicht jede Therapie lösungsorientiert?

 

Ist „Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie“ überhaupt wirksam?

LK ist eine anerkannte, auch in Deutschland von zahlreichen Institutionen genutzte Methode. Zu ihrer Wirksamkeit liegen zwei wissenschaftliche Metastudien vor, die insgesamt 65 Einzelstudien zusammenfassen. Beide bescheinigen der LK eine „konsistente Evidenz als effektive Intervention in einem breiten Anwendungsfeld von Problemen“.

Besonders wirksam ist demnach die LK bei psychosozialen Problemen, bei Depression, Angst, Sucht, schulischen und familiären Konflikten sowie als Erstintervention. Weniger wirksam ist sie bei chronischen Störungen oder komplexen psychiatrischen Erkrankungen, ungeeignet ist sie für schwere Traumatisierungen, akute psychotische Zustände und komplexe Persönlichkeitsstörungen.

Als häufige Wirkfaktoren werden die Zielorientierung, Ressourcenaktivierung, Stärkung der Selbstwirksamkeit, Therapiezufriedenheit und geringe Drop-out-Rate genannt.

Im Durchschnitt sind 5 – 8 Sitzungen ausreichend. Der Grad der Wirksamkeit ist von der Schwere des Falls abhängig und liegt statistisch unterhalb etwa einer Kognitiven Verhaltenstherapie oder einer mehrjährigen Psychoanalyse.

Quellen:

Gingerich, W. J., & Peterson, L. T. (2013). Effectiveness of solution-focused brief therapy: A systematic qualitative review of controlled outcome studies. Research on Social Work Practice, 23(3), 266–283.

Kim, J. S. (2008). A Meta-analysis of solution-focused brief therapy: A review of outcome research. Journal of Social Service Research, 34(1), 60–90.

Warum kann LK schon nach wenigen Stunden wirken?

 

Empfehlung:

Lesen Sie zuerst meine einleitende Erklärung

der Lösungsfokussierten Kurzzeittherapie.

 

Die LK ist zwar eine Form von Gesprächstherapie, auf die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte wird dabei aber ebenso verzichtet wie auf eine genauere Analyse des Problems. Stattdessen wird die bisher vom Klienten wiederholt versuchte Lösung als das eigentliche Problem gesehen. Die LK führt ihn aus dem Wiederholungsmuster seiner alten Lösungsversuche heraus und erwirkt mittels Interventionen kleine Veränderungen, die im Zusammenhang des Systems große Wirkungen zeigen können.

 

Was ist eine „Intervention“?

In der Palo-Alto-Schule, die schon in den 1960er Jahren Kurzzeittherapien entwickelte, bedeutet Intervention einen Eingriff in ein System im Sinne des Konstruktivismus. Dieses besteht nur aus Kommunikationen, die zwischen einem Menschen und jenen Mitmenschen, mit denen gemeinsam dieser ein System bildet (z. B. Familie, Team etc. ) gewissen Regeln und Mustern folgen.

Um das Werkzeug „Intervention“ zu verstehen, müssen wir zuerst klären, was ein System ist.

 Systemtheorie als Basis

Im Konstruktivismus ist das System etwas, das sich selbst organisiert. Das menschliche Gehirn etwa empfängt aus der Außenwelt Reize, es reagiert darauf so, dass es erhalten bleibt. Es stabilisiert sich selbst in dem Sinne, dass es den Unterschied zwischen System und Umwelt, zwischen sich selbst und der Außenwelt, aufrecht erhält. Dabei bedient es sich – auch - der Kommunikation nach außen. Es hilft beim Verständnis, wenn man sich das Gehirn wie einen Computer vorstellt, der eingegebene Daten verarbeitet und das Ergebnis ausgibt.

Ein System ist somit definiert durch den Unterschied zwischen dem System und all dem, was nicht Teil des Systems ist. Es ist eine Innen-Außen-Differenz, die sich selbst stabilisiert, indem sie auf Veränderungen der Außenwelt so reagiert, dass das System weiter funktioniert. Systemstabilisierung ist die wesentliche Funktion jedes Systems, sinnbildlich gesprochen eine Art Selbsterhaltungstrieb. Funktionieren ist das erfolgreiche Ergebnis der Lösung von Kommunikationsproblemen.

 Selbstorganisation statt Kausalität

Kommunikation ist hier nicht Übertragungsmedium von Inhalten, Gedanken und Gefühlen, sie wird naturwissenschaftlich als eigenes Phänomen von außen betrachtet und zum zentralen Gegenstand der Forschung gemacht. Zugleich aber wird hier vom Prinzip der Kausalität abgegangen. Anstelle der Frage, wie das Vorausgehende ursächlich auf das Gegenwärtige eingewirkt hat, tritt die Frage nach dem Wie des beobachteten Kommunikationsgeschehens, das sich in zirkularer Kausalität und im Austausch mit der Systemumwelt selbst organisiert.

In der konstruktivistischen Systemtheorie kann es sich bei einem System um das Gehirn eines Menschen, eine Familie, einen Verein, die Justiz, die Kunst, den Staat, die UNO, genauso wie die Gesellschaft, den Einzeller, einen Seestern oder auch einen sich selbst steuernden Computer handeln. Im Bereich der Familientherapie werden sowohl der Patient als auch seine Familie als Systeme beobachtet.

 Kommunikation konstruiert die „Wirklichkeit“

System bedeutet in der Palo-Alto-Schule eine dynamische Einheit von Interaktionen mit wechselseitiger Beeinflussung, die sich selbst organisiert und deren „Wirklichkeit“ sozial konstruiert ist. Primär beobachtet werden daher die Beziehungsmuster, die Kommunikationsregeln und die vom System selbst erzeugten Bedeutungen.

Wenn die Psyche nur aus Kommunikationen in und zwischen Systemen besteht und ihre Störung nur auf dysfunktionalen Mustern (wie z. B. bisherigen Problemlösungs-Versuchen), legt das den Schluss nahe, man könnte mittels einer störenden Sprechhandlung, der Intervention, in das Kommunikationssystem verändernd eingreifen.

 

„Die therapeutische Intervention besteht nicht im Geben von Lösungen, sondern im Herstellen von Bedingungen, unter denen neue Lösungen entstehen können.“

— Paul Watzlawick

 

Intervention als wirkmächtiger Eingriff in die Struktur des Systems

Da zum Systembegriff auch gehört, dass die Veränderung eines Elements die Veränderung der anderen Elemente innerhalb des systemischen Zusammenhangs nach sich zieht, ergibt sich daraus die Möglichkeit, mittels einer Intervention die Psyche des Klienten in eine gewünschte Richtung verändern zu können.

Auf diesem Verständnis aufbauend haben sich systemische Therapien und auch Formen der Kurzzeittherapie, wie (seit den 1980er Jahren) die heutige „Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie“ entwickelt. Bei ihren Interventionen handelt es sich meist um gezielte und unerwartete Fragen, die auf positive Veränderungen des Systems zielen.

 Anstoß zur Veränderung der Selbstorganisation

In der Palo-Alto-Schule verstand man unter Intervention einen gezielten kommunikativen Impuls, mit dem ein Therapeut versucht, das Muster der Interaktionen in einem System zu verändern. Interventionen sind bewusst überraschend, oft paradox und sogar irritierend. Symptome sollen nicht weggemacht werden, vielmehr soll die Bedeutung des Symptoms verändert werden – durch „Reframing“. Interaktionsmuster werden gestört und unterbrochen,  um neue Kommunikationswege zu bahnen. Die Intervention soll den Anstoß geben, der das System dazu bringt, sich selbst anders als bisher zu organisieren.

Beispiele für Interventionen

Paul Watzlawick, der in Deutschland bekannteste Vertreter von Palo Alto, beobachtete in Beziehungen oft Kommunikationsmuster, die sich selbst verstärken. Mit seinen Interventionen zielte er daher nicht auf das Innenleben seiner Klienten, sondern auf die Struktur des Gesprächs und der darin sichtbar werdenden Beziehung.

Charakteristisch ist Watzlawicks „Paradoxe Intervention“. Das ist eine Handlung, die in scheinbarem Widerstand zum angestrebten Ziel steht. „Anleitung zum Unglücklichsein“ ist ein entsprechender Buchtitel dieses Therapeuten und Theoretikers. Die Paradoxe Intervention richtet sich nicht, wie gewohnt, gegen das Problemverhalten, sondern rät dazu, dieses ganz bewusst fortzusetzen und sogar zu verstärken. Das negative Verhaltensmuster wird in der Folge absichtlich hergestellt, dabei erhält der Klient die Kontrolle zurück und erkennt zugleich die Unlogik seines Musters:

·      Einem Paar, das ständig über Kleinigkeiten in Streit gerät, „verschreibt“ der Therapeut täglich 15 Minuten Streit zu einer festgelegten Uhrzeit. Das Muster verliert in der Folge seine Macht, weil es bewusst und kontrolliert ausagiert wird.

·      Ein Jugendlicher, der ständig die Regeln verletzt, wird vom Therapeuten dafür belohnt – in der Annahme, dass Trotz für die Regelverletzungen verantwortlich ist.

·      Einem Schlaflosen wird aufgetragen, heute zu versuchen, möglichst lange aufzubleiben und dann aufzuschreiben, wie lange er es geschafft hat, nicht einzuschlafen.

·      Ein Vater fühlt sich schuldig, weil er seine Kinder zu stark kontrolliert. Der Therapeut sagt: „Offenbar gelingt es Ihnen sehr gut, immer genau zu wissen, was Ihre Kinder falsch machen. Das ist eine beeindruckende Leistung.“

 

Weiterentwicklung zur Lösungsfokussierung

In den 1980er Jahren entwickelten Steve de Shazer und Insoo Kim Berg die Kurzzeittherapie der Palo Alto Gruppe weiter. Sie übernahmen die theoretische Basis und die Technik der Intervention, nicht aber das Eingehen auf die besonderen Probleme wie in obigen Beispielen beschrieben. Sie verengten die Variationsbreite der Interventionen auf jene, die an schon vorhandene Lösungen anknüpfen.

„Problem talk creates problems, solution talk creates solutions.“

— Steve de Shazer (1988)

 

Lösungsfokussierung bedeutet in diesem Sinne, sich auf vorhandene Zukunftsvisionen und bisher schon gut Funktionierendes zu konzentrieren. Damit wird ein Perspektivenwechsel eingeleitet, der zu Veränderungen der Wahrnehmung und des Verhaltens führt, aber auch dem Klienten jene Selbststeuerung zurück gibt, mit deren Hilfe er sich selbst weiter entwickeln kann.

 

Die Interventionen der Lösungsfokussierten Kurzzeittherapie folgen dem Prinzip der „Utilisation“, das von Milton H. Erickson formuliert wurde und auch in der Traumatherapie zur Anwendung kommt. Was der Patient mitbringt (seine positiven Ressourcen ebenso wie seine störenden Symptome), wird respektiert, akzeptiert und für die Therapie in Verwendung genommen.

Symptome wie Angst, Widerstand, Dissoziation oder Körperreaktionen werden nicht direkt bekämpft, sondern als Ressourcen begriffen, die man durch „Reframing“ therapeutisch nutzen kann. Dabei wird ihnen eine neue Bedeutung verliehen, indem die ursprünglich gute Funktion des Symptoms, etwa als notwendiger Selbstschutz, Stärkung oder Bindungssignal, unterstrichen wird.

„Nimm den Menschen so, wie er ist – und gehe mit ihm dorthin, wo er hinmöchte.“

- Milton Erickson

Prinzipien und Vorgangsweisen der Lösungsfokussierten Kurzzeittherapie

  1. Was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren.

  2. Das, was funktioniert, sollte man häufiger tun.

  3. Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man etwas anderes probieren.

  4. Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen.

  5. Die Lösung hängt nicht zwangsläufig mit dem Problem zusammen. (Der Therapeut fragt:   „Was wird anders sein, wenn das Problem gelöst ist?“)

  6. Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen, die genutzt werden können.

  7. Es wird nach früheren Lösungen gesucht.

  8. Die Probleme ebenso wie die Ziele werden regelmäßig skaliert, d. h. in ihren Größenverhältnissen zueinander gemessen, um den Therapiefortschritt zu evaluieren.

 

Positive Unterschiede werden verstärkt. Was bisher schon gut war, soll künftig öfter geschehen. Berichtet ein Klient von einem kontinuierlichen Problem, wird er gefragt, ob er sich an Ausnahmen erinnern kann. Im Rückgriff auf positive Erlebnisse wird ein neues Zukunftsbild gezeichnet, das Veränderung ermöglicht. Die Haltung dieser Form von Therapie ist pragmatisch – richtig ist alles, was gut funktioniert. Interventionen sind das Werkzeug, mit dem der Therapeut ins Kommunikationssystem eingreift, um herbeizuführen, dass dieses sich selbst reorganisiert.

 Fazit

Anstelle eines Facits sei hier ein Satz aus Wikipedia zitiert, der in der unübertrefflichen Kürze der Lexikonsprache die methodisch bedingte Kürze der Kurzzeittherapie zusammenfasst:

 „Kurztherapie kann auch deswegen kurz sein, weil sie von der Annahme ausgeht, dass innerhalb der Beratungszeit nur Anregungen, Anstöße für die eigentlichen Entwicklungs- und Veränderungsprozesse gegeben werden, die im konkreten Alltag des Klienten umgesetzt bzw. vollzogen werden müssen.“ (Wikipedia Artikel „Lösungsorientierte Kurztherapie“)

Zurück
Zurück

Was bedeutet es, Stadtneurotiker zu sein?

Weiter
Weiter

»Ganz normal gestört«